Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Schreiben und Übersetzen

von Ulrike Draesner

Wenn Gedichte Dinge aus Sprache erzeugen, dann ist jede Übersetzung eines Gedichts eine massive Verschiebung. Sie ist fremde Verkörperung. Den Ort, an und aus dem man schreibt, könnte man vielleicht das ‚in mir andere‘ nennen. Und das, was übersetzt, das ‚außer mir andere‘. Also das ‚in mir andere‘ als das eigene Schreiben und das ‚außer mir andere‘ als das, was vom Übersetzen aufgerufen wird.

Doch was meint das konkret? Um der Differenz von ‚außer‘ und ‚in‘ auf die Spur zu kommen, möchte ich einige Unterschiede zwischen dem eigenen Schreiben und dem Übersetzen sowie Verwandtschaften zwischen beiden Tätigkeiten, so wie ich sie wahrnehme, vorstellen. Ich gebe sie wieder in der Reihenfolge, in der sie mir in den Sinn traten, weil ich glaube, dass das ihre emotionale Wichtigkeit widerspiegelt.

1. Der erste Unterschied

Beim Übersetzen ist durch den Ausgangstext das erst noch herzustellende Sprachprodukt als Entwurf und Schema von Anfang an gegeben. Dies macht die Übersetzungsaufgabe leichter und schwerer. Sie braucht, ebenso wie das eigene Schreiben, einen Erregungsimpuls. Während er im Fall der eigenen Produktion woher auch immer stammen mag, ist er beim Übersetzen bereits sprachlich, genauer: fremdsprachlich, gebunden. Er stammt aus einer Einheit, einem komponierten Zusammenhang. Eigenes Schreiben hingegen ist um vieles „nervöser“, auch exzentrischer. Jede Sekunde könnte der Text, den man später liegen sieht, ein ganz anderer geworden sein als er wurde. Sehr kurz oder sehr lang – und vieles dazwischen: ein vierzeiliges Gedicht. Eine Erzählung. Ein 200-Seiten-Roman. Manchmal ist mir, als stünde ich an einem Teichufer und zöge an einem Netz. Ich weiß nicht einmal, ob überhaupt etwas in seinen Maschen hängt. Ziehe ich nicht gut, reißt das Netz oder gleitet mir aus den Händen und alles verschwindet wieder in Wasser und Schlick. Dann wird es nie geschrieben.

Das Übersetzen hingegen begleitet eine – vergleichsweise – geradezu luxuriöse Sicherheit: Wenn ich jetzt ins Bett gehe und morgen Früh wieder aufwache, liegt der Text noch da – mach‘ dir keine Sorgen.

2. Einheit und Formung

Schreiben wie Übersetzen beruhen u.a. auf der Fähigkeit, Muster zu bilden, doch darf der Übersetzerin, zumindest zunächst, eine Musterebene des Originals gleichgültig sein: die ‚inhaltliche Gesamtkomposition‘. Sie ist bereits geleistet worden. Hier könnten Sie allerdings widersprechen, mit gutem Recht. In manchen Übersetzungsfällen kommt die Kompositionsfrage durchaus ins Spiel, etwa wenn nur Teile eines Textes übertragen werden, ein Werk aus dem Gesamtwerk, eine Gedichtauswahl. Nicht selten wird der Übersetzer in diesen Fällen zugleich zum Herausgeber, ein spannender Vorgang, der Übersetzen und Autorschaft einander annähert. Hybride Formen entstehen: unsere Kategorien ‚eigen‘ und ‚fremd‘ sind für sie zu grob. Vor kurzem lernte ich einen Amerikaner kennen, der Rilke unter einem raffinierten Aspekt ins Englische übersetzt: aufgenommen wurden nur Texte, die etwas mit Fangen oder Einfangen, mit Bällen, Fluglinien oder inneren Räumen zu tun haben. Dies aber konsequent durch alle Genres hindurch: Prosa, Brief, Anmerkung, Gedicht. Die schöne Leitidee lässt eine bislang unvertraute, scharf konturierte Rilke-Figur sowohl als Autor als auch als biographisches Subjekt vors Auge treten. Als Übersetzer übernimmt man in diesem Fall Autorenfunktionen, man entwirft Komposition, Einheit, den Buchaufbau, muss alles neu denken.

3. Handwerkliches Training

In Ludwig Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen findet sich ein lebensnahes Bild für das Handeln mit Sprache, das sehr klug die Verbindung zwischen jeder Formungsidee und dem sie ausführenden Körper zeigt. Letzterem kann ich hier nicht nachgehen, es führte uns in Fragen danach, wie die Schreibbewegung selbst das, was geschrieben wird, beim Übersetzen wie beim Eigen-Schreiben formt. Fürs erste aber folgen wir Herrn Wittgenstein in den Friseursalon. Wahrlich, es gibt wenige Philosophen, die in der Lage sind, in Friseurbildern zu denken. Wittgenstein beschreibt, wie ein Meister die Schere dicht am Kopf des Kunden immer wieder zuschnappen lässt, ohne zu schneiden. Nur beim x-ten Mal fallen Haare. Es ist dieses Klappern des Instruments, entgegen der Redewendung im Deutschen, kein leeres Klappern. Es folgt aus der notwendig ununterbrochenen Bewegung der Hand, die ihrerseits Voraussetzung ist für einen präzisen Schnitt. Die Bewegung der Schere weist darauf hin, dass Präzision ein (großes) Vor- und Umfeld benötigt: Anlauf, Übung, Versuch gehören ihr zu.

An dem zu übersetzenden Text, den ich nicht „Original“, sondern direkter und auch liebvoller „Stoff“ nennen möchte, heißt „Klappern“: zu sprechen versuchen. „Inhalt“ und „Sprachstoff“ liegen in ihrer Verwobenheit vor dem Übersetzer und werden nun „geschoren“. Ich muss sie auseinandernehmen, ohne ihre Verbundenheit aus dem Blick zu verlieren. Manchmal wird man gefragt, ob man versuche, den Text zu „verstehen“. Mag sein; es ist allerdings gewiss kein literaturwissenschaftliches Verstehen, kein aufsatztaugliches, kein einfach „interpretatorisches“. Es ist ein Verstehen, das auf die Erzeugung des Inhalts aus der Form, der Form aus dem Inhalt zielen muss. Also auf den Kern. Man bekommt ihn nie zu fassen – doch die Schreibhand kann ihn manchmal fühlen, und halb am bewussten Verstand vorbei, sozusagen im Gespräch mit dem eigenen Sprachwitz, für die Übersetzung neu-alt, in und außer mir zugleich, erzeugen.

Dazu gehören „Schnitte in die Luft“. Sie können sehr fruchtbar sein. Fehler, Verlesungen, schräge Wege. Solange man sich dort vor Eindeutigkeiten hütet, wo der anvertraute Text nicht eindeutig ist. Denn er soll ja nicht geschoren werden, nicht beschnitten – „nur“ in präziser Sprachübung geformt.

Der Gewinn, den das Ausprobieren von Sprachbewegungen in eben der Sprache bedeutet, in die hinein man übersetzt wird, wird oft verkannt. Vielleicht, weil oft vergessen wird, dass das eigentliche Zentrum der Übersetzung die sogenannte „Zielsprache“ ist. Die Denk- und Zungenbewegungen in ihr sind Probegänge, wirkliche Erforschungen. Für mich muss diese „Zielsprache“ die Muttersprache sein: nur im Deutschen habe ich das Gefühl, so sicher im Sattel zu sitzen, dass ich mit Sattel, Pferd und Zaumzeug spielen kann. Sicher – und dadurch freier und mutiger in jenen Handbewegungen, zu denen der fremde Stoff mich (ver)führt.

Diese Bewegungen sind nie mechanisch, sondern entstehen in jedem konkreten Fall neu entlang der spezifischen Kraftlinien des Ausgangstextes, geleitet von einer Vision dessen, was er im Deutschen werden könnte. Der Begriff „Zielsprache“ ist dabei, recht besehen, ein Euphemismus. Eigentlich existiert diese Sprache noch nicht. Es gibt die riesengroße Sprache „deutsch“ oder „englisch“ oder x – und darin einen Ton. Er gehört dem neuen Text. Er unterscheidet jede menschengemachte Übersetzung von der Arbeit einer Maschine, selbst wenn sie perfekt übersetzt wäre. Er ist Findung und Erfindung zugleich.

Hand-, Denk- und Mundbewegungen gehen nun in eins. Sie suchen die neue Sprache des Textes mit Hilfe eben dieses Textes, der mich seinerseits so in Gang setzt, dass mir einfällt, wie meine eigene Sprache diese Bewegungen mitmachen bzw. nachmachen könnte. Präzise – in Übereinstimmung und Abweichung.

4. Präzise?

Die alte Übersetzerregel „so frei wie nötig, so nah wie möglich“ hilft hier erwartungsgemäß nicht weiter. Oder lautet sie sowieso gerade andersherum: „so frei wie möglich, so nah wie nötig.“

Besten Dank an die Regel. Sie ist paradox, also dem Übersetzen ideal angepasst. Unbelehrbar frage ich erneut: was ist präzise?

Ist die Sprachbewegung in Gang gekommen, erscheint, was an diesem Tag, in dieser Stunde, mir, Subjekt UD, einfällt.

Das ist sicher nicht präzise.

Doch ich habe nichts anderes.

Also muss ich mich bewegen und „schneiden“, um mich von dem, was ich dachte, zu entfernen. Es folgt eine manchmal lange und schwierige Übung in Empathie. Der Versuch abzustreifen, was ich sonst als Sprecherin dieser (deutschen) Sprache und als Autorin in dieser Sprache bin. Meinen sprachlichen Deutschgewohnheiten, den Eigenheiten meiner sprachlichen Musterbildung, entkomme ich gewiss nicht wirklich oder nicht weit – aber ich bemühe mich, spanne durch diesen Antagonismus die Sprachkräfte eigentlich erst auf.

In der Abstreifbewegung ist im nächsten Schritt auch ihr Gegenteil enthalten: ich stoße deutlich auf meine eigenen Sprechgewohnheiten. Vor allem aber stoße ich auf Sprachgefühle. Sie sind vielleicht das Wichtigste beim Übersetzen. Wir sprechen so selten über sie, weil sie schwer zu fassen sind. Längst bewegen wir uns hier in einem Mischbereich: für diesen Text erscheint mir. Abstreifbewegung, Anstoß vom zu übersetzenden Text, ‚außer mir anderes‘ fühlen, ‚in mir anderes‘ in Gang setzen, hie und da dem Eigenen nachgeben. Ich versuche, Ihnen eine ständige Bewegung zwischen Abstreifen und Eigensinn, Steuern und Gegensteuern zu zeigen.

Das macht Mühe.

Ich mache sie mir nicht aus Diensttreue. Gewiss versuche ich bei meinen Übersetzungen von H.D. (Helga Doolittle) und Louise Glück den Originalen gegenüber treu zu bleiben, aber nicht, weil Dienst für mich ein Wert an sich wäre, sondern aus einem verlässlicheren Grund, aus Egoismus. Ich möchte beim Übersetzen nicht immer das Gleiche erleben. Ich möchte mich aus mir und meinen Sprachgewohnheiten herausbewegen und brauche dazu die Hilfe des fremden Textes. Mich also öffnen für die Denkbewegungen in einer anderen Sprache, die zugleich immer auch eine Autorensprache ist.

5. Übersetzen als fünffaches Schielen

Die erste Doppelung liegt bereits beim Original. Aus ihm sieht eine fremde Sprache mich zweifach an: In leichter Abwandlung der Saussureschen Terminologie könnte man hier von der riesigen, geschichteten, geschichtlichen, ständig bewegten, in zahlreichsten Soziolekten, Dialekten, vor allem aber ganzen Derivat- und Mischsprachen über den gesamten Globus gespannten ‚langue‘ Englisch sprechen. In ihr findet sich diese eine ‚parole‘ des Autors. Das erste, was ich wahrnehmen muss, ist die spezifische Position, die der mir für die Übersetzung anvertraute literarische Text im Raum jener Sprache einnimmt, die er benutzt und zugleich erweitert und mit seiner Eigenheit füllt.

Im zweiten Schritt: diese beiden englischen Räume gegeneinander halten und sie sich auseinander (ent)falten lassen. Meine Aufgabe als Übersetzerin liegt wenigstens in der Zielsetzung darin, für die Autorensprache ein Äquivalent in der Sprache zu entwickeln, in die hinein ich übersetze. Aus dem Geist der Autorensprache heraus zu handeln. Immer stärker haben wir uns damit in jenen Bereich hineinbewegt, in dem Wort-zu-Wort oder Satz-für-Satz Übersetzungen nicht genügen. Es geht darum, etwas zu erfinden, das im großen Raum der deutschen Sprache, den ich naturgemäß keineswegs überblicke, in dem ich vielmehr taste und versuche mich zu strecken, diesen Ton einnehmen könnte. Als Impuls, Position und Widerklang brauche ich dafür die Autorensprache in ihrer-Sprache / meiner-Fremdsprache. Autoren sind unterschiedlich deutlich in dieser Hinsicht: Shakespeare, Gertrude Stein und auch H.D. (Hilda Doolittle) haben einen kräftigen Ton. Sie machen in dieser Hinsicht die Arbeit leicht.

Zuletzt übersetzte ich zwei Gedichtbände der amerikanischen Dichterin Louise Glück. Ihre ersten Bücher erschienen Ende der 60er Jahre. Zweierlei, der deutschsprachigen Poesie nicht auf diese Weise Vertrautes, hat mich an der angloamerikanischen Lyrik immer interessiert. Zum einen die starke narrative Tradition, das Langgedicht, das Versepos, der Geschichts- und Geschichtenzusammenhang. Zum anderen der Versuch, sehr einfach zu sprechen. Louise Glück zählt sich selbst zu dieser Richtung. Keine poetischen Bilder, schnörkellose Sprache, simple Syntax. Da das Englische so wenig dekliniert, also im Vergleich zum Deutschen eines, das ein rigideres Satzmuster braucht – man erinnere sich an die Schulregel SPO -, ist diese Einfachheit schnell erreicht. Glücks Gedichte folgen ihrer Taktung gern. Subjekt, Prädikat, Objekt, Subjekt, Prädikat, Objekt, Punkt, Punkt; vielleicht auch einmal kein Punkt, weil ein Versende kommt, und immer so weiter. Ich male dies aus, um die Eintönigkeit – für das deutsche Ohr – zu betonen. Zum „Orten“ im deutschen Gedichtraum gehört nun, diesen Unterschied 1. wahrzunehmen. 2. zu beurteilen. 3. umzusetzen – also auch ihn zu übersetzen.

Für die Beurteilung ist entscheidend, was tatsächlich dem Sprachsystem geschuldet ist, und was dem Autor zugehört. Man schösse übers Ziel hinaus, wollte man Glück in ständigem SPO-Muster ins Deutsche übertragen. Es wäre dies zwar „richtig“, sogar sehr treu, nur gerade darin falsch. Eine derartige Übersetzung erzeugte für ein deutsches Ohr zu weitreichende Monotonien, so dass ich am Ende die Glücksche Syntax, obwohl ich sie im Deutschen mühelos reproduzieren hätte können, hie und da umstellte.

Dem Englischen Schielen folgt nun ein weiteres, im Deutschen. Hier muss man nicht nur mit zwei, sondern sogar drei Größen handeln, zumindest als Autor-Übersetzer:

  • der vertraut-fremde, und doch mit mehr Lücken als Wissen gefüllte, gefühls- und erinnerungsintensive Hallraum der Muttersprache.
  • in ihm der eigene Autorenton – doch inwiefern kann ich selbst ihn tatsächlich hören?
  • und „dazwischen“ die Suche nach dem Autorenton für H.D., Gertrude Stein oder Louise Glück.

6. Das Ohr

Mag die eigene Autorschaft also hie und da eine Unwägbarkeit mehr ins Übersetzen geben, ist sie doch in anderer Hinsicht ein wesentlicher Vorteil. Manchmal, wenn ich mir Lyrik-, aber auch Prosaübersetzungen (Nabokovs Lolita etwa) ins Deutsche ansehe, werde ich traurig, weil so viel weggefallen ist, was nicht hätte wegfallen müssen. Ich finde Schreibtischübersetzungen. Es fehlt der Klang!

Selbstverständlich ist ein literarischer Text, egal welchen Genres, immer auch Werk fürs Ohr. Anscheinend ist das manchem Übersetzer nicht wirklich deutlich – und woher sollte er auch die Erfahrung nehmen, wie Texte auf einer Bühne klingen, welche Spannungen zwischen Text und Publikum allein auf Grund von Phrasierung und Rhythmisierung entstehen. Hier habe ich Glück: seit 13 Jahren lese ich regelmäßig meine eigenen Texte öffentlich vor; ich erlebe sie als Sprach-Körper auf der Bühne. Mit Hilfe des daraus allmählich erworbenen Klangwissens und Klanggefühls gehe ich an Übersetzungen und hoffe, dass meine Arbeit nicht zu einem sanglosen Ergebnis führt. Naturgemäß kann der Versuch, die Lautdimensionen eines Textes mit zu übersetzen, nie bedeuten, die Lautung des Originals zu reproduzieren. Das wäre eine ganz verfehlte Vorstellung. Jeder Vokal, jeder Konsonant bereits klingt anders. Auch hier muss also wirklich übersetzt werden: gehandelt, verschoben, ge- und erfunden. Das darf, nein muss man einem literarischen Original zumuten. Ist es wirklich gut, lebt es bei dieser Behandlung auf!

7. Affinität

Ich suche im Übersetzen nicht Affinität, sondern Fremdheit, möchte also auf jemanden treffen, der mich sprachlich angeht und mir eine Entdeckung verspricht. Bewegung in einem vollkommen anderen Kosmos verlangte die Übersetzung des letzten Gedichtzyklus von H.D. Geboren wurde die Dichterin 1886 in Pennsylvania, Anfang der 60er Jahre starb sie in der Schweiz. Ezra Pound hatte sie früh in Europa bekannt gemacht, die beiden waren sich im College begegnet – eine wechselvolle Beziehung. Pound führte Hilda Doolittle als Imagist mit bildreichen Naturgedichten in die Lyrikszene ein. Hermetic Definition / Heimliche Deutung ist anders: ein Liebes-Erinnerungs-, Anrufungs-, Reise- und Beschwörungsgedicht, vielfach in sich verwoben, einfach-raffiniert gebaut. Sein poetischer Raum ist mythologisch, mythisch, sprachintensiv, „witty“ und religiös; er blendet höchst unterschiedliche Dinge ineinander. Ein spannendes Übersetzungsprojekt, auch weil Heimliche Deutung ein Zyklus ist, der sich aus drei kleineren Zyklen bildet, die wiederum aus acht bis 18 Gedichten bestehen. Am Ende gehören alle Verse zusammen, und die Übersetzung wurde zu einer Art Probefahrt auch im Hinblick auf die Frage, wie viel der Wirkung des Textes im Englischen rein über die Lautung entsteht – und wie viel Zusammenhang bereits durch das Arrangement der Texte zustande kommt und sich daher leichter übersetzt. Der erste Zusammenhang ist eine Art Spielfeld. Der zweite wird einem beinahe geschenkt, vorausgesetzt, man achtet auf Wortwiederholungen und erhält sie – oder benutzt, wenn es nicht anders möglich ist, wenigstens nur zwei verschiedene Worte, diese dann aber konsequent in ihren Unterschieden, um z.B. etwas so Weitgreifendes wie „mind“ wiederzugeben. Wieder-zu-geben.

8. Genuss des Lesens

Ich übersetze, weil ich gern lese und weil Übersetzen für mich eine der intensivsten Weisen des Lesens ist, die ich kenne. Ein intimer Dialog. Ich möchte dabei eher nicht mit dem Autor sprechen. Das wesentliche Abtasten oder Sprechen ist ein Sprechen im Text, ein Tasten seines Pulses. Ich hatte beim Radikalübersetzen der Shakespeare-Sonette, das sehr frei verfährt, aber eben in dieser Freiheit aus Shakespeare kommt, das Gefühl, angefixt oder angepulst zu werden von der Grundenergie der alten Gedichte. Das ist natürlich immer nur der Shakespeare-Puls für mich. Und doch: eine große, starke Sprachkraft rollte auf mich zu.

In diesem Zusammenhang werden Autoren-Übersetzer gern nach der Rückwirkung des Übersetzten auf die eigene Produktion gefragt.

Natürlich gibt es diese Rückwirkung. Ich erfahre sie als Kurve. Annäherung an den fremden Ton, Arbeit darin. Dann das Abfärben. Ich schreibe etwas „Eigenes“ und denke, „ohne H.D. wäre mir das nicht eingefallen“ – thematisch, sprachlich, dichterisch. Diese Phase hält ein paar Wochen an, nicht unbedingt die ganze Übersetzungszeit. Dann Wegwerfen des Eingefärbten, wieder Auswandern aus diesem Fremdautorenheim.

Nachhaltig allerdings ist eines passiert: den deutschen Dichterstimmen wurde am Ende ein weiterer Ton hinzugefügt. In gewisser Weise bleibt dieser Ton auch in mir stehen. Ich könnte mich wieder in ihn einhaken, wieder eintreten. Hier sieht man sie, die „Vernähung“ zwischen Text und Übersetzer. Wenn ich kurz als Autorin sprechen darf, die übersetzt wird: oft empfinde ich eine gelungene Übersetzung eines meiner Gedichte als ein Hervorholen, ja ’nach-außen-Stülpen‘ der in ihm enthaltenen, mir fremden Gestalt. Etwas Inneres des Textes also, seine eigene Fremdheit. Oder, vom Text her gesehen: eines der Kleider seiner changierenden sprachwandernden Möglichkeiten. Sie dehnen den Text aus, ohne ihm wirklich fremd zu ein; sie entwickeln ihn in ein reicheres Bild.

Fazit

Der spannendste Vorgang beim literarischen Übersetzen ist für mich die Akquise, die Entwicklung des Tons dieses Autors in der deutschen Sprache. Das Ergebnis ist nolens volens Teil meines eigenen Werkes; dafür muss die Übersetzung gar nicht weiter rückwirken. Je älter ich werde, umso deutlicher scheinen mir die Kategorien ‚eigen‘ und ‚fremd‘ schöner Humbug. Sehr nützlich, juristisch wichtig, recht jung übrigens, gerade in der Kunst also nicht selbstverständlich. Ich habe über Epik im Mittelalter promoviert, damals brauchte man diese Unterscheidungen nicht. ‚Eigen‘ und ‚fremd‘ sind kulturelle Artefakte. Das Wort Humbug habe ich natürlich mit Absicht benutzt. Es steht nicht im Grimmschen Wörterbuch, weil es erst später importiert wurde; es kommt tatsächlich aus dem Englischen, „humbug„, Etymologie ungeklärt, ein Slangwort:

A humbug„. „A humming bug„.

Ich übersetze: Ein summender Käfer?

Ein summender Fehler?

Ein summender Schnabelkerf, auch Büffelzirpe genannt?

Dieser kleine Exkurs, dieses Austicken an den beiden Sprachen entlang, musste, entschuldigen Sie, nun am Ende sein, es macht nämlich Spaß. So entsteht er aus Spiel und Humor: der Müll, der Rest, das, was man wegwerfen würde beim Übersetzen, der neue Stoff. Schau, wie er summt.