Über Leyla Erbil „Eine seltsame Frau“

von Angelika Gillitz-Acar und Angelika Hoch

Manch einer wundert sich, warum wir zu zweit übersetzen. Ist das wirklich so unfassbar? Muss nicht fast jeder im Berufsleben mit einer oder mehreren Personen zusammenarbeiten? Da fragt man doch auch nicht, ob die Sache dadurch nicht zu kompliziert wird, man sich nicht permanent in den Haaren liegt und unterstellt nicht insgeheim, dass man nur im Team arbeitet, weil man’s nicht alleine kann.

Aber Letzteres war für uns tatsächlich der Grund, zusammenzuarbeiten. Keine von uns hätte sich alleine an eine Übersetzung herangewagt, wussten wir doch beide um unsere Stärken und Schwächen. Was lag also näher, als es gemeinsam zu probieren. Zugegeben, ein zweitaufwendiges Verfahren, verbunden mit langen Diskussionen. Aber bisher haben wir noch immer eine Lösung gefunden, die keine von uns als faulen Kompromiss hinnehmen musste. Deshalb können wir auch nicht von ausgekratzten Augen, verzweifelten Tränenausbrüchen, verletzten Eitelkeiten, hysterischen Wutausbrüchen oder beleidigten Rückzügen berichten. Im Gegenteil. Im Laufe der Zeit haben wir erkannt, welche unschätzbaren Vorteile die Tandem-Übersetzung in sich birgt. Zum Beispiel haben wir nie dieses Gefühl der Einsamkeit erfahren, über das viele Übersetzer klagen. Selbst dann nicht, wenn jede für sich ihr Pensum im stillen Kämmerlein leistete, alleine nach Worten und um Formulierungen ringend. Die Ergebnisse werden immer gemeinsam besprochen. Das funktioniert aber nur dann, wenn auf persönlichen Geltungsdrang und Rechthaberei verzichtet wird. So kann man sich ganz ungezwungen und frei der eigentlichen Textarbeit widmen. Und die hat es zuweilen in sich. Denn wie jede andere Fremdsprache, weist auch das Türkische seine Tücken auf, die den Übersetzer beim Übertragen in die Zielsprache so manches Mal ins Straucheln bringen. Das geht schon damit los, dass das Türkische keine indogermanische Sprache ist und, wie Gisele Kraft treffend sagt: „…sich vom Deutschen nicht nur durch Vokale, sondern bereits durch das Denken VOR dem Sprechen unterscheidet“. Ein türkischer Satz, wörtlich ins Deutsche übersetzt, ergibt Nonsens. Daraus folgt, dass der deutsche Satz, will er ausdrücken, was im Türkischen steht, neu gebaut werden muss. Nicht selten wird er dabei um etliches umfangreicher. Das Türkische gehört zu den agglutinierenden Sprachen, das heißt es fügt Silben aneinander, für die wir im Deutschen jeweils ganze Wörter oder ganze Nebensätze brauchen. Beispiel: yazdigim mektup = schreibenhabenmein Brief = der Brief, den ich geschrieben hatte.

Im Gedicht kann das die Verszeile derart verlängern, dass sie, um nicht über den Papierrand hinauszulaufen, neu gebrochen wird, dass folglich in der Nachdichtung mehr Zeilen dastehen als im Original…

Ein weiterer Stolperstein beim Übertragen vom Türkischen ins Deutsche sind Sprachbilder, die im Türkischen sehr häufig vorkommen, zuweilen den literarischen Wert eines Werkes ausmachen können, für die es aber keine Entsprechung im Deutschen gibt. Und nicht zuletzt ist Vorsicht bei den Zeiten geboten, hat doch das Türkische ein differenzierteres Tempusgefüge als das Deutsche.

„Der literarische Übersetzer aus dem Türkischen muss sich also immer etwas ausdenken, manchmal etwas weglassen, neu erfinden, nachdichten, um den Erzählfaden geschmeidig zu halten“, so Gisele Kraft. Wir geben ihr Recht. Aber wie schwierig das sein kann, mussten wir bei der Übersetzung von Leyla Erbils Roman „Eine seltsame Frau“ leidvoll erfahren. Wie kann man Leyla Erbils Sprache übertragen, die gespickt ist mit ungebräuchlichen Wortschöpfungen und Redewendungen, sowie reich gewürzt mit Dialekten und Ausdrücken, für die es kein deutsches Pendant gibt? Das bringt natürlich Schwierigkeiten mit sich. Hier hat sich gezeigt, dass unsere Entscheidung, gemeinsam zu übersetzen, richtig war. Nein, nicht nur richtig. Hätten wir uns nicht für diese Arbeitsweise entschieden, dann hätte es sich keine von uns beiden, nach Lektüre der ersten Seiten, angemaßt, den Roman zu übersetzen. Gemeinsam trauten wir uns. Wir waren selten einer Meinung und so konnten wir heftige Diskussionen führen und penible Wortklauberei betreiben – übrigens keine Zeitverschwendung, sondern ein wunderbares Mittel, den richtigen Ton zu treffen oder einen passenden Ausdruck zu finden.

Mindestens genauso wichtig war die gegenseitige moralische Unterstützung. Manche Textpassagen brachten uns an den Rand der Verzweiflung (zum Glück nie beide gleichzeitig.) Wer wäre nicht dem Wahnsinn nahe, wenn er sich plötzlich einem Wort gegenübersähe, das er nicht kennt, das im gebräuchlichen Wörterbuch nicht zu finden ist, das auch nicht in Fachwörterbüchern auftaucht und selbst einem Muttersprachler fremd ist? Übersetzt werden muss es doch. Oder einfach unterschlagen? Nein! Dann doch lieber beim Autor nachfragen. Wer käme z. B. auf die Idee, dass „Peydof“ kein russischer Familienname ist, sondern, wie uns Leyla Erbil schließlich verriet, ein aus dem Englischen entlehnter Begriff („paid off“), der unter türkischen Seeleuten verwendet wurde, um zu auszudrücken, dass sie ihre Heuer bekommen hatten.

Leyla Erbil war aber nicht die einzige, die uns zur Seite stand. Wir mussten ein ganzes Bataillon von Hilfskräften aktivieren, um die Fragen und Probleme zu bewältigen, mit denen uns der türkische Text überraschte. Da war die Verkäuferin im russischen Lebensmittelladen, die uns über allerlei russische Spirituosen aufklärte (inzwischen haben wir Krim-Wein und russisches Essiggemüse schätzen gelernt), dann die Mitarbeiter der Bayerischen Staatsbibliothek in der Karten- und Orientabteilung, der Fachmann für Schwarzmeerhäfen in der Geo-Buchhandlung, fachkundige Muttersprachler, ein leidgeprüfter Ehemann, eine wahrscheinlich manchmal verwunderte Herausgeberin und eine versierte Lektorin.

Literaturverzeichnis:

  • Gisele Kraft: Nachwort. In: Nazim Hikmet: Die Namen der Sehnsucht. Gedichte. Zürich 2008.